Kulturzentrum seit 1975

Materialien zur Geschichte des Kulturzentrums

Junge Spittelberg Bewohner*innen marschieren ins Rathaus

Das als „das Amerlinghaus“ bekannte und nach dem Maler Friedrich von Amerling benannte Kultur- und Kommunikationszentrum war ursprünglich als selbstverwaltetes Stadtteilzentrum am damals proletarischen und migrantischen Spittelberg konzipiert.
Im Sommer 1975 wurde das in Gemeindebesitz befindliche, leerstehende und desolate Haus besetzt. Leute aus der Nachbarschaft, Student*innen, Künstler*innen, Sozialarbeiter*innen und Alternativgruppen forderten ein selbstverwaltetes, gefördertes Kultur- und Kommunikationszentrum von der Gemeinde Wien. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, besetzten sie im Sommer 1975 das „Amerlinghaus“ in der Stiftgasse. Nach einem großen Vier-Tage-Fest wurde im Sommer ein „Demonstrationsbetrieb” aufgenommen. Ziel des Projekts war, zusammen mit Personen aus der Nachbarschaft, Kindern und Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen einen selbstbestimmten und selbstverwalteten Ort der Kommunikation und der kulturellen Aktivität im Grätzl zu schaffen. Der Bedarf nach neuen, alternativen und kritischen Konzepten war Mitte der 1970er groß. Einen Sommer lang lebten Haus und Hof auf. Fast täglich Kulturprogramm, Kinderbetreuung, Kommunikation zwischen den Generationen, zwischen Bevölkerung und AktivistInnen und PolitikerInnen sowie ein hervorragendes Medienecho waren die Folge. Die „weiche“ Besetzung des Amerlinghauses war die erste in Wien und wurde von der Gemeinde im Gegensatz zu in den nächsten Jahren folgenden weitgehend toleriert. Die Besetzer_innen des Hauses hatten mit der Gemeinde Wien Verhandlungen aufgenommen, die in der Renovierung des Amerlinghauses und offiziell am 1. April 1978 in der Übergabe an den sich als Kulturzentrum Spittelberg konstituierten Verein resultierten. Seit damals wird der Verein Kulturzentrum Spittelberg durch die MA 13 subventioniert.

Ein Teil der Vereinbarungen bestand im Verzicht auf Räumlichkeiten im 1. Stock, in denen bis heute das Bezirksmuseum Neubau untergebracht ist. In den Anfangsjahren wurden von der Subvention um die 10 Mitarbeiter*innen beschäftigt. Im Amerlinghaus wurde zu dieser Zeit unter anderem eine der ersten Alternativschulen Wiens gegründet. So breit das Spektrum der sozialen und kulturellen Aktivitäten im Kulturzentrum Spittelberg auch war, zeichnete sich bereits von Anfang an eine Entwicklung ab, die die weitere Geschichte des Zentrums prägte. Die Entscheidung für eine öffentliche Subventionierung brachte die formale Einführung eines rechenschaftspflichtigen Gremiums mit sich, dem damit eine gewisse Machtposition eingeräumt wurde. Zum anderen bedeutete die Anstellung von Personen ein Auseinanderfallen der Aktivist*innen, eine ungleiche Trennung in „Macher*innen“ und „Konsument*innen“, eine Entwickung, welche auch die anfängliche Abhaltung von Hausplena nicht verhindern konnte. Die als „Mitarbeiter*innen- Selbstverwaltung“ im Amerlinghaus bezeichnete Struktur markiert die Etablierung einer bezahlten, für den Betrieb verantwortlichen Gruppe von Personen. Das Kulturzentrum im Amerlinghaus stellte kein sich als basisdemokratisch verstehendes, autonom selbstverwaltetes Modell mehr dar. Das Zentrum hatte die Basis der jungen sozialen Bewegungen verloren, die sich in anderen Projekten wie der Arena engagierten.

1980 kam es zu einer „Zweiten Besetzung“ des Amerlinghauses im Zusammenhang mit der „Burggartenbewegung“, wobei der Konflikt zwischen autonomen Ansprüchen und den nunmehr als alleinige Entscheidungsträger*innen fungierenden Mitarbeiter*innen virulent wurde. War das Amerlinghaus ursprünglich als Kultur- und Kommunikationszentrum in einem proletarischen und migrantischen Stadtteil gedacht, so hat sich auch die Umgebung im Laufe der Jahre verändert – eine Entwicklung, die vom Kulturzentrum sicher nicht intendiert, aber indirekt dennoch mit vorangetrieben worden ist. Ein Großteil des Spittelbergs wurde renoviert und nicht, wie anfangs befürchtet, abgerissen. Unter anderem war auch die GESIBA an einigen Bauprojekten beteiligt. Rasch änderte sich die Struktur von einem heruntergekommenen Vorstadtviertel zu einem teurer und schicker werdenden Vorzeigeviertel mit bessergestellter, alternativ-liberaler Klientel. Der Spittelberg ist ein frühes Beispiel für Gentrifizierung, wo über den Umweg von sozial-engagierter Arbeit und Künstler_innen-Initiativen mittlerweile Konsum und Gastronomiebetriebe vorherrschen und die Mieten für die ursprünglichen Bewohner_innen längst viel zu teuer sind.
Die Spaltung der Räumlichkeiten im Amerlinghaus in die vom Kulturzentrum verwalteten und in das von der Amerlingbeisl Gastronomie GmbH betriebene „Amerlingbeisl“ geht ebenfalls auf die Kommerzialisierung des ursprünglich als Teil des Kulturzentrum konzipierten Beisls bereits Ende der 70er Jahre zurück.

Von Anfang an war die Arbeit im Kulturzentrum als ganzheitlich und inklusiv konzipiert. Ein neuer Kulturbegriff wurde hier als ein alle sozialen Beziehungen umfassender verstanden, Kulturarbeit und Soziale Arbeit waren dabei nicht zu trennen. Die integrativen Aspekte bezogen sich auf generationenübergreifende, interkulturelle Arbeit sowie auch darauf, eindeutig besetzte Bereiche wie “Kultur” oder “Soziales” aufzubrechen und mit weniger ausgrenzenden Bedeutungen zu füllen. Wurden in den ersten Jahren noch intensive inhaltliche und politische – teilweise recht heftige – Auseinandersetzungen über Konzepte und kritische Ansätze geführt, so wurde das Kulturzentrum zunehmend zu einer Anlaufstelle und Ressource für unterschiedliche Gruppen, die hier ihre eigenen Interessen und Inhalte verfolgten. Eine übergreifende, gemeinsame politische konzeptuelle Diskussion und Entwicklung von Inhalten verlor zunehmend an Bedeutung. Dennoch bildet das Kulturzentrum bis heute ein „Treibhaus“ für alternative Gesellschaftsentwürfe und kritische Projekte. Was sich durch viele gesellschaftliche Veränderungen hindurch nicht geändert hat, ist die Notwendigkeit, gegen Unrecht, Vorurteile und rassistische Hetze aufzutreten, und unser Wille, dazu einen Beitrag zu leisten. Das Kulturzentrum im Amerlinghaus ist ein wichtiger Treffpunkt und eine – oft die einzige – unverzichtbare Ressource für eine Vielzahl von Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen geblieben.
Gemessen an den damaligen Ambitionen und Visionen, nicht ein einzelnes Haus, sondern viele solcher selbstverwalteter Zentren zu etablieren, zeigt sich, dass es auch gegenwärtig kaum solche Räume gibt, wo engagierte Initiativen und Personen aus der Pluralität ihrer unterschiedlichen Perspektiven, Ansätze und Praxen heraus zusammenkommen und innerhalb einer offenen, wertschätzenden und unterstützenden Struktur selbstbestimmt arbeiten können – zugunsten einer solidarischen Kultur der Vielfalt.

Vieles, was gegenwärtig einen teilweise auch schon etablierten Bestandteil des sozio-kulturellen Lebens in Wien bildet, hat seinen Anfang im Kulturzentrum im Amerlinghaus genommen – von der Alternativschulbewegung über Anti-AKW Aktivitäten, interkulturelle Lernbetreuung – noch bevor „Integration“ zum hegemonial machtpolitisch besetzten Unwort wurde, autonome Frauenprojekte, der Kampf um das WUK und die Gassergasse, selbstbewusste migrantische Jugendprojekte wie ECHO oder kollektive offene Wohnprojekte für Obdachlose wie das Neunerhaus und viele andere mehr. Wahrscheinlich bildete paradoxerweise gerade die „Verbeamtung“ der Mitarbeiter*innen als Lohnarbeiter*innen eine Voraussetzung dafür, dass das Kulturzentrum im Amerlinghaus – anders als zu Beginn intendiert, aber immer noch – existiert und ein linkes Zentrum geblieben ist. Mitarbeiter*innen kümmern sich um den Hausalltag und die Koordination, unabhängig von den Aufbrüchen, Wandlungen und manchmal auch Erschöpfungen, die einzelne Initiativen durchlaufen mögen.

Von den anfänglich um die zehn Mitarbeiter*innen ist der Personalstand mittlerweile, nach wiederholten Stundenkürzungen auf das absolute Minimum reduziert.
Einige Projekte und Initiativen, die ursprünglich direkt vom Verein Kulturzentrum Spittelberg mitgetragen wurden, erhalten mittlerweile selbst Unterstützungen, die es ihnen ermöglichen, eigene Mitarbeiter_innen zu zahlen, wie die elternverwaltete Kindergruppe im Amerlinghaus.
Ein unmittelbar aus der für marginalisierte Gruppen parteiischen und transkulturellen Arbeit im Kulturzentrum entstandenes Projekt im Amerlinghaus ist der mittlerweile selbstständige verein exil. Seit 1988 arbeitet exil als Kulturzentrum mit Schwerpunkt Literatur und Kulturpräsentationen der sogenannten “Minderheiten” und speziell der Roma in Österreich. In zahlreichen – auch internationalen – Veranstaltungsreihen mit Buchpräsentationen, Lesungen, Ausstellungen, Vorträgen, Kompositions-, und Theaterprojekten sowie Antirassismus-Workshops für Schulklassen entwickelt, fördert und präsentiert zentrum exil Arbeiten von zugewanderten Künstler_innen und Angehörigen ethnischer Minderheiten.
Ein weiteres im Kulturzentrum Spittelberg etabliertes, selbstgeführtes und -finanziertes Projekt ist die Vereinigung für Frauenintegration, gegründet 1997 im Bewusstsein, dass es vor allem für sozial benachteiligte Migrantinnen und deren Kinder zu wenig leicht zugängliche Bildungs- und Beratungsangebote gibt. In diesem Sinne bietet die Vereinigung für Frauenintegration professionelle Sprach- und Computerkurse sowie Vorbereitungsangebote für die „Integrationsprüfung“ mit Kinderbetreuung für sozial benachteiligte Frauen aus unterschiedlichen Kultur- und Sprachkreisen an.

In den mittlerweile über 40 Jahren der Arbeit des Kulturzentrum Spittelbergs hat sich zweifellos im Kontext historischen gesellschaftlichen Wandels vieles geändert, aber das Kulturzentrum im Amerlinghaus ist bis heute ein linkes, kritisches Zentrum geblieben, das immer noch Ausgangs- und Knotenpunkt für vielfältige interessante Diskussionen und emanzipatorische Praxen ist.
Wie wichtig und unverzichtbar Projekte wie das Kulturzentrum im Amerlinghaus gegenwärtig sind, zeigt sich daran, dass das Haus voller Menschen ist, die die oft andernorts hohe Zugangsschwellen allein hinsichtlich Raummieten und Konsumzwang nicht passieren können. Dieselben Personengruppen sind es auch, die zusätzlich mit massiven immateriellen Hürden konfrontiert sind.

Das Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus bildet einen der letzten Orte in Wien, an dem vielfältige kritische und solidarische Basiskulturarbeit stattfinden kann, ohne direkt einer Verwertungslogik unterworfen zu sein. In einem gesamtgesellschaftlichen Kontext, der geprägt ist von Einsparungen und Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich, von steigender Armutsgefährdung, zunehmenden Ausgrenzungen und steigender Repression gegenüber alternativen Gesellschaftsentwürfen, hat der Weiterbestand des Zentrums eine gesamtgesellschaftlich relevante Bedeutung.
Dass im Zuge einer zunehmend wirtschaftsliberalen Politik kritischen sozialen Projekten eine politisch gewollte Ressourcenaustrocknung droht, ist gesellschaftspolitisch gefährlich. Das Kulturzentrum Spittelberg mag kein autonomes Projekt sein, in Struktur und Inhalten gibt es Widersprüche und Lücken. Dennoch oder gerade deshalb meinen wir, dass das Kulturzentrum Spittelberg auch Bedeutung als Bindeglied zwischen Szenen hat, zwischen sozialen Bewegungen und Organisationen, zwischen linken Gruppen und zivilgesellschaftlichen Initiativen, und dass das mittlerweile eine seiner Stärken darstellt, die Austausch und Diskussion ermöglicht, Berührungsängste abbaut und immer wieder neue Impulse bringen kann.

In welche Richtung sich das Zentrum weiterentwickelt, ist unsicher, auch, ob es in seiner jetzigen Form überhaupt noch Bestand haben kann, allein wegen der fehlenden Wertanpassung der Förderung seit 2004 bei ständig weiter steigenden Fixkosten. Tendenziell meinen wir, dass das Zentrum im Amerlinghaus, das über 40 Jahre der Zuführung einer Verwertung im wirtschaftsliberalem Sinn und der Kommerzialisierung, von der es umgeben ist, widerstanden hat, nicht nur wegen seiner Geschichte, sondern auch wegen seiner gegenwärtigen Position als eines der letzten offenen, niederschwelligen und kritischen Zentren in Wien Teil der emanzipatorischen Kultur bleiben wird.